Enteignung und Planwirtschaft

Ursachen des Verschwindens

Die kommunistische Planwirtschaft, die in Polen, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei nach Kriegsende eingeführt wurde, beförderte das Verschwinden von kleineren Orten. Die Landwirtschaft wurde zwangsweise kollektiviert, was zu einer Rationalisierung und zur Zentralisierung führte. Kleine, abgelegene Orte mit schwierigen Bedingungen für die Landwirtschaft oder Orte in Gebirgslagen über 600 Meter wurden unter diesen Umständen aufgegeben. Dies lässt sich besonders deutlich im Sudetenland beobachten.

Die forcierte Industrialisierung, etwa im Bereich der Schwerindustrie, führte zu Landflucht und Verstädterung. Dörfer verchwanden durch extensiven Braunkohletagebau und durch die Anlage von Talsperren und Stauseen.

Der für die Planwirtschaft  typische fehlende Wille zu Renovierungen und der beständige Mangel an Baumaterialien bewirkten, dass an den meisten Gebäuden jahrzehntelang keine oder nur unzureichende Instandsetzungsarbeiten stattfanden. Damit wurden zahllose Bauten nach 1945 dem langsamen Verfall preisgegeben. Im Zuge der zeitgleich stattgefundenen Bodenreform wurden zudem unter dem Vorwand der Baustoffgewinnung zahlreiche Höfe und Häuser niedergelegt.

„Wir werden in der RSFSR (Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik) 25 Millionen Hektar Neuland gewinnen!“
„Wir werden in der RSFSR (Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik) 25 Millionen Hektar Neuland gewinnen!“ Das in Moskau 1962 gedruckte Plakat des russischen Künstlers Vladimir Gavrilovič Konopov verweist auf den ehrgeizigen sowjetischen Plan, mit Hilfe einer kollektivierten, zentralisierten und technisierten Landwirtschaft in Russland riesige neue Flächen urbar zu machen. Das Ziel wurde nicht erreicht. Im russischen Teil Ostpreußens blieben vielmehr große Teile der vor 1945 landwirtschaftlich genutzten Flächen brach liegen. Da sie auch nicht aufgeforstet wurden, entstanden weite ungenutzte Steppengebiete, in denen es für eine ländliche Bevölkerung keine Arbeitsmöglichkeiten gab. Dies führte zu einer Landflucht auch in ostpreußischen Dörfern, in denen nach 1945 vorübergehend russische Neusiedler angesiedelt worden waren. Foto: bpk Bildagentur, Bild-Nr. 00016325

Demontagen von Technik und Infrastruktur

Zahnräder und ein Fabrikgebäude in Bunzlau/Bolesławiec 1955.
Zahnräder und ein Fabrikgebäude in Bunzlau/Bolesławiec 1955. Dargestellt ist ein Chemiewerk in der niederschlesischen Stadt Bunzlau. Nach den umfangreichen sowjetischen Demontagen nach Kriegsende 1945 insbesondere in Schlesien gelang es der Volksrepublik Polen ab den 1950er Jahren, die demontierten Anlagen durch neue zu ersetzen und Schlesien erneut zu einer hoch industrialisierten Region zu machen. Foto: Herder-Institut Marburg, Bildarchiv I Fotograf: Stefan Arczyński

Unmittelbar nach Kriegsende 1945 begann die Sowjetunion mit der Demontage von deutschen Industriebetrieben und Schienennetzen. Die Regierung der UdSSR betrachtete die Demontagen als Reparationsleistung Deutschlands. Von der Demontage und Entindustrialisierung betroffen war die Sowjetische Besatzungszone (die spätere DDR), aber auch die ehemals deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße und Gebiete, die vor 1939 zu Polen gehört hatten. Josef Stalin unterschrieb etwa 100 Dekrete, die die Demontage im heutigen Polen, besonders in Ober- und Niederschlesien, betrafen.

Der Abbau durch Spezialeinheiten begann im Januar 1945 und umfasste Betriebe, Fabriken, Bahnstrecken und die direkte Ausbeutung von Kohle, Stahl, Treibstoff  und Nahrungsmitteln.

Die kommunistische Regierung Polens protestierte gegenüber Stalin über die sowjetischen Demontagen im neuen Polen. Vergeblich forderte sie, als besonders wichtig eingestufte Fabrikanlagen in den „wiedergewonnenen Gebieten“ von der Demontage auszunehmen. Nach internen sowjetischen Angaben wurden bis zum August 1945 aus den „wiedergewonnenen Gebieten“ 142.000 Waggons mit Gerätschaft en und Material abtransportiert. Von August 1945 bis Januar 1948 kamen weitere 69.200 Waggons dazu. Aus den vor 1939 zu Polen gehörenden Gebieten ließ Stalin bis zum August 1945 75.561 Waggons abtransportieren. Die Demontagen hörten danach aber nicht auf.

Der sowjetische Außenminister Molotow versuchte die Demontagen herunterzuspielen. Immerhin bezifferte er den Wert der in Polen abgebauten Fabriken auf 500 Millionen US-Dollar. Insgesamt sollen über 1.100 Betriebe abgebaut worden sein.

Die Demontagen in Nord-Ostpreußen (Oblast Kaliningrad) verwundern insofern, als die UdSSR dem Gebiet hohe militärstrategische Bedeutung beimaß. Ostpreußen besaß 1938 ein dichtes Schienennetz von 2.800 Kilometer Länge. Nach der Teilung Ostpreußens fielen 1.820 Kilometer an die Sowjetunion. Umgehend wurde knapp die Hälft e des Schienennetzes demontiert. Dadurch verwaisten viele Bahnhöfe und viele Ortschaft en entlang der stillgelegten Strecken waren nun praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Auch dies beschleunigte den Untergang vieler Dörfer.

Das alte Brüx - Opfer des Braunkohlebergbaus

Sudetenland

Auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens fielen zwischen 1945 und 1989 mindestens 119 Orte dem Braunkohlebergbau zum Opfer. Dieser wurde nicht nur in ehemals deutsch besiedelten Gebieten Nord- und Westböhmens betrieben (in den Bezirken Falkenau, Brüx, Komotau und Aussig), sondern z.B. auch in der DDR bis 1990 und in der Bundesrepublik Deutschland bis heute.

Ein besonders drastisches Beispiel für das Verschwinden eines Ortes im Sudetenland stellt die Altstadt von Brüx/Most dar. 1964 beschloss die tschechoslowakische Regierung, die gesamte Altstadt von Brüx zugunsten des Braunkohlebergbaus abzureißen. Das geschah nach und nach zwischen 1967 und 1982. 1968 entstand in der zum Abriss bestimmten Altstadt der Hollywood-Film „The Bridge of Remagen“ von Metro Goldwyn Mayer. Während der Kampfszenen des Filmes wurden zahlreiche Gebäude in die Luft  gesprengt. Der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen zur Niederschlagung des „Prager Frühlings“ führte zu einem überstürzten Abbruch der Dreharbeiten.

Als einziges historisches Bauwerk von Brüx blieb die kunsthistorisch bedeutende, spätgotische Dekanatskirche erhalten, die 1975 in einer weltweit beachteten, spektakulären Aktion als Ganzes auf Schienen verschoben wurde. Die Bevölkerung der Stadt wurde in eine zwei Kilometer südlich neu errichtete sozialistische Plattenbaustadt umgesiedelt. Das neue Brüx hat heute 67.000 Einwohner gegenüber 36.000 im Jahre 1939.

Die Kirche von Brüx.
Die Kirche von Brüx.
Blick zum Altar der Kirche von Brüx.
Blick zum Altar der Kirche von Brüx.
Das Gewölbe der Kirche von Brüx.
Das Gewölbe der Kirche von Brüx.
Der erste Platz, der Marktplatz.
Der erste Platz, der Marktplatz.
Der zweite Platz mit der Dekanatskirche und dem Schlossberg mit der Landeswarte im Hintergrund.
Der zweite Platz mit der Dekanatskirche und dem Schlossberg mit der Landeswarte im Hintergrund.

Das alte Preßnitz – versunken in der Talsperre

Sudetenland

Im 20. Jahrhundert wurden durch Anlage von Stauseen und Talsperren weltweit ganze Täler mit darin liegenden Ortschaften überflutet. Durch die Errichtung des Assuan-Staudammes in Ägypten etwa wurde der Nil zu einem riesigen See aufgestaut. Die Tempel von Abu Simbel und Philae versetzte man, doch zahllose andere Kulturgüter versanken in den Fluten.

Auch in der Tschechoslowakei verschwanden beim Bau von Talsperren zahlreiche Ortschaften. Nach Angaben des Geografen Wilfried Heller wurden hier zwischen 1945 und 1989 nicht weniger als 171 Orte durch Stauseen überflutet. Nicht alle, aber sehr viele lagen in den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten. Diese Randgebiete von Böhmen sind durchgängig Bergregionen, deren Täler für die Anlage von Stauseen besonders geeignet sind. Da viele Gebiete nach der Vertreibung der Deutschen nur spärlich besiedelt waren, wurde die Realisierung solcher Projekte erleichtert. Gründe für die Anlage waren der Bau von Wasserkraft werken zur Energiegewinnung und die Schaffung von Trinkwasserreservoirs.

Beim Aufstauen der Preßnitz in Nordböhmen 1973 bis 1976 versanken die gleichnamige Bergbau- und Musikstadt und die Nachbarorte Reischdorf und Dörnsdorf in den Fluten. Die 1335 erstmals erwähnte Kreisstadt Preßnitz lag im Erzgebirge nahe der Grenze zu Sachsen auf über 700 Meter Höhe und hatte 1900 4.080 Einwohner. Nach der Vertreibung der Deutschen waren es 1950 nur noch 731, im Jahre 1970 lediglich 395. Viele Gebäude waren damals bereits verlassen und verfallen. Vor der Flutung wurde hier 1973 noch der Film „Traumstadt“ des bundesdeutschen Filmemachers Johannes Schaaf gedreht, für den extra einige Gebäude gesprengt wurden. Anschließend wurden die beiden Kirchen, das große Barockschloss und sämtliche Häuser abgerissen und die letzten tschechischen Bewohner umgesiedelt.

Die Kleinstadt Preßnitz, vor 1945, und der Preßnitzer Staudamm heute.
Die Kleinstadt Preßnitz, vor 1945, und der Preßnitzer Staudamm heute.

Die Kleinstadt Preßnitz, vor 1945, und der Preßnitzer Staudamm heute. Preßnitz/Přísečnice im mittleren böhmischen Erzgebirge wurde vom Turm der gotischen Stadtpfarrkirche überragt. Im 19. Jahrhundert war der Ort berühmt für seine Musiker, insbesondere seine „Harfenmädchen“, die in ganz Europa, Nordamerika, im Vorderen Orient und bis nach Indien, China und Japan hin auftraten. Preßnitz wurde 1974 abgebrochen, der Stausee, welcher das Gelände der Stadt überflutete, 1976 fertiggestellt.

Beide Fotos: Wikipedia