Erinnern und Versöhnen

Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges 1989 bemühten sich deutsche Vertriebene, Einzelpersonen, Heimatkreise, Landsmannschaften und der Bund der Vertriebenen (BdV), gemeinsam mit Privatpersonen, kommunalen und staatlichen Stellen in Polen, Tschechien und Russland, verschwundene, ehemals deutsche Orte dem Vergessen zu entreißen.

Es gelang vielerorts, überwucherte Friedhöfe zu säubern und einzelne Denkmäler wie Kapellen, Wegkreuze, Kriegerdenkmäler, Aussichtstürme und andere zu restaurieren. Dort, wo nichts mehr vorhanden war, wurden Denkmäler mit zweisprachigen Inschriften errichtet, die heute an die verschwundenen Orte erinnern.

Im ehemaligen Sudetenland gelang mancherorts eine teilweise Revitalisierung von Dörfern, die ganz oder zum großen Teil verlassen waren. Wohlhabende Städter aus Prag, Pilsen oder Budweis setzten in landschaftlich reizvollen Gegenden alte Häuser aus deutscher Zeit als Wochenenddomizile instand.

Besonders junge Menschen in Polen, Tschechien und Russland begannen sich für die deutsche Vergangenheit ihrer Region zu interessieren. Es entstanden Bürgerinitiativen, Filme wurden gedreht, Kunstprojekte durchgeführt und es gibt Angebote für Touristen in Form von Führungen zu den verschwundenen Orten sowie hier und dort kleine Museen.

Besonders engagiert war und ist die Bürgerinitiative Antikomplex, die 1998 von tschechischen Studenten in Prag gegründet wurde.

Ihre Ausstellung „Zmizély Sudety – Das verschwundene Sudetenland“ wandert seit 2004 erfolgreich in Tschechien und Deutschland und war auch schon in Österreich und Südtirol zu sehen. Durch frappierende Gegenüberstellungen von Orts- und Landschaftsansichten einst und heute aus exakt derselben Perspektive konnte Antikomplex ein Bewusstsein für die unwiederbringlichen kulturellen Verluste der Randgebiete von Böhmen und Mähren schaffen.

Wiederaufbau eines Familienbesitzes

Schlesien

Nach dem Ende des Kommunismus gab es hochfliegende Pläne in Polen, Schlossruinen wiederaufzubauen. Realisiert wurde davon sehr wenig. Heute sind zahlreiche Schlösser, die in kommunistischer Zeit noch als Schulen, Altenheime oder ähnliches genutzt wurden, in einem desolateren Zustand als 1989.

Eine rühmliche Ausnahme sind die beiden Schlösser in Lomnitz/Łomnica im schlösserreichen Hirschberger Tal (Niederschlesien), die bis 1945 der deutschen Adelsfamilie von Küster gehörten. Der Enkel des letzten Besitzers, Ulrich von Küster, erwarb die maroden Schlösser und den verwilderten Park 1991 zusammen mit einem polnischen Partner. Das Große Schloss hatte bis 1979 als Schule gedient, danach verfiel es zu einer Ruine. Es gelang von Küster und seiner Frau Elisabeth, geborene Ebner von Eschenbach, das Anwesen vorbildlich zu einem florierenden stilvollen Hotel mit erstklassigem Restaurant und Tagungszentrum auszubauen.

Lomnitz ist heute unzähligen deutschen und polnischen Schlesientouristen bekannt und wurde häufig von Fernsehsendern porträtiert. Es dürft e der bislang einzige Fall sein, in dem eine deutsche Adelsfamilie ins heutige Polen kam und ihren früheren Besitz zurückerwarb.

Das landschaftlich reizvolle Hirschberger Tal war im 19. Jahrhundert beliebte Sommerfrische des preußischen Königshauses und anderer Adelsfamilien. Mehr als 30 Schlösser und Herrenhäuser entstanden hier auf engem Raum. Einige wurden nach 1989 von polnischen Investoren restauriert. Dazu gehören Fischbach, Schildau, Buchwald, Stonsdorf, Wernersdorf und die Fabrikantenvilla Paulinum, die alle als Schlosshotels dienen und gerne für große Feiern gebucht werden.

Das Kleine Schloss in Lomnitz, Niederschlesien.
Das Kleine Schloss in Lomnitz, Niederschlesien. Um 1800 entstand das Kleine Schloss, auch Witwenschloss genannt, im frühklassizistischen Stil. Nach 1945 diente es als Verwaltungssitz einer Kolchose. Ulrich von Küster kaufte es 1995 zusammen mit 10 Hektar Park und Wiese. Nach der Restaurierung dient es heute als Hotel mit 17 Doppelzimmern und zwei Restaurants. Foto: Famile von Küster, Lomnitz
Das Große Schloss in Lomnitz/Pałac Łomnica, Niederschlesien.
Das Große Schloss in Lomnitz/Pałac Łomnica, Niederschlesien. Ulrich von Küster kauft e 1991 zusammen mit einem polnischen Partner zunächst das ruinöse Große Schloss und unterzog es einer Totalsanierung. Das Gebäude war in den 1720er Jahren vermutlich von dem Liegnitzer Architekten Martin Frantz errichtet worden. Mitte des 19. Jahrhunderts ließ es Carl Gustav Ernst von Küster im klassizistischen Stil umbauen. Nach der Enteignung 1945 wurde es bis 1979 als Schule genutzt, danach stand es bis 1992 leer und verfiel. Heute lebt hier das Ehepaar Küster mit seinen fünf Kindern. Foto: Famile von Küster, Lomnitz

Virtuelle Rekonstruktion ostpreußischer Landschlösser

Ostpreussen

Aufnahme vom Garten Richtung See mit den Überresten von Schloss Friedrichstein, Mai 2015
Aufnahme vom Garten Richtung See mit den Überresten von Schloss Friedrichstein, Mai 2015
Aufnahme vom Garten Richtung See mit den Überresten von Schloss Friedrichstein, Mai 2015

In der euphorischen Stimmung bei Ende des Kommunismus gab es in den 1990er Jahren vage Pläne, die großen preußischen Landschlösser wie Finckenstein, Schlobitten und Schlodien - von denen noch Ruinen stehen - wiederaufzubauen. Knapp 30 Jahre später musste man eingestehen, dass dies nur ein Wunschtraum war. Für die großen Anlagen ohne die ehemals dazugehörige große landwirtschaftliche Basis gibt es in der ländlichen, dünn besiedelten Region schlicht kein überzeugendes Nutzungskonzept. Private Investoren sind überfordert, der polnische und der russische Staat haben andere Prioritäten.

Dafür gibt es seit kurzem eine virtuelle Rekonstruktion einiger ost-preußischer Schlösser. Es handelt sich um ein wissenschaftlich und technisch anspruchsvolles Projekt, das sowohl interdisziplinär als auch international (deutsch/polnisch/russisch) ausgerichtet ist. Federführend ist das Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg an der Lahn. Zunächst entstehen digitale 3D-Rekonstruktionen der Schlösser Schlodien (von dem noch nackte Wände stehen) und Friedrichstein (das völlig verschwunden ist) samt ihren Parkanlagen. Dazu wurde alles verfügbare Material gründlich erfasst, erforscht und die Daten in die Computer-Animationen übertragen, von historischen Fotos über noch erhaltene Ausstattungsstücke wie Möbel, Gobelins und Gemälde bis hin zu Aussagen der wenigen noch lebenden Zeitzeugen, die die Schlösser vor der Zerstörung kannten.

Im Rahmen des Projekts wurde eine Virtuelle Forschungsumgebung entwickelt, die ein web-basiertes kollaboratives Arbeiten über die Fachdisziplinen und Ländergrenzen hinweg ermöglicht. Die digitale Wiederauferstehung der Schlösser ist nachvollziehbar dokumentiert und nachhaltig gesichert. Das Projekt soll Ausgangspunkt für ein interaktives web-basiertes „Virtuelles Museum“ werden. Benutzer auf der ganzen Welt können so die virtuell wiederbelebten Schlösser von außen und von innen „besichtigen“. Gefördert wird dieses Vorhaben von der Leibniz-Gemeinschaft  und von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien.

Gartenansicht Schloss Friedrichstein.
Gartenansicht Schloss Friedrichstein. Computervisualisierung: Architekturbüro Arthur Sarnitz, Königsberg (© Herder-Institut, 2016).
Gartenansicht Schloss Friedrichstein.

Wiederaufbau des Königsberger Schlosses?

Ostpreussen

2015 wurde ein internationaler Architektenwettbewerb zur Neugestaltung des brach liegenden, 56 Hektar großen Schlossareals ausgelobt. Daran nahmen 49 Einsender aus zahlreichen Ländern, darunter China, Indien und Singapur, teil. Erstaunlicherweise kam keine einzige Einsendung aus Deutschland. Die unabhängige Jury um Bürgermeister Alexander Jaroschuk und dem damaligen Gebietsgouverneur Nikolaj Zukanow, in der auch ausländische Fachleute wie der frühere Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann vertreten waren, kürte den damals 30jährigen Nachwuchsarchitekten Anton Sagal zum klaren Gewinner. Sagal lebte einige Jahre in Königsberg und studierte am Polytechnikum Mailand.

Sein Entwurf sieht die Rekonstruktion von Westflügel (Großer Schlossturm, Schlosskirche und Moskowitersaal) und Ostflügel (Unfriedtbau) mit den wichtigsten historischen Innenräumen vor. Diese sollen als Kulturzentrum mit archäologischen und historischen Museen, Hochzeitssaal und einem wiedererstandenen Restaurant „Blutgericht“ genutzt werden. Die beiden Flügel werden durch sie verbindende moderne Neubauten ergänzt. In ihnen soll unter anderem ein Mehrzwecksaal für 1.500 Menschen untergebracht werden. Außen würden fünf neue Platzräume entstehen. Die Bauruine des Hauses der Sowjets am Rande des Areals soll nach Sagals Plänen erhalten bleiben.

Nach dem partiellen Wiederaufbau der preußischen Stadtschlösser in Berlin und Potsdam wäre die Teilrekonstruktion des Königsberger Schlosses die dritte und letzte Wiedergeburt der 1950, 1960 und 1968 abgeräumten wichtigsten Hohenzollernresidenzen. Allerdings steht die staatliche Finanzierung wegen der Wirtschaftskrise in Russland bislang noch aus.

Wiederaufbau des Königsberger Schlosses?
Die neue Platzanlage auf der Nordseite.
Die neue Platzanlage auf der Nordseite.
Der neu geschaffene kleine Schlosshof mit Blickrichtung Süden.
Der neu geschaffene kleine Schlosshof mit Blickrichtung Süden.
Innenhof mit rekonstruiertem Westflügel samt Großem Turm und modernem Nord- und Südflügel.
Innenhof mit rekonstruiertem Westflügel samt Großem Turm und modernem Nord- und Südflügel. Die geplante Funktion der Flügel ist angegeben: Museum, Vortragssaal, Bibliothek und Werkstätten.

Wiederbelebung der Altstadt von Küstrin

Ost-Brandenburg

Türen/Drzwi/Doors, 2004.
Türen/Drzwi/Doors, 2004. Der polnische Künstler Zbigniew Sejwa (geboren 1952 in Landsberg an der Warthe/Gorzów Wielkopolski) versuchte, durch Großfotos vermeintlicher Eingangstüren im Maßstab eins zu eins eine kleine Gasse in der ehemaligen Altstadt Küstrins nachzubilden. Auf diese Weise sollten Assoziationen und Emotionen beim Besucher geweckt und der Ort belebt werden. Foto: Justyna Krzyzanowska
Enklave, 2004.
Enklave, 2004. Der deutsch-polnische Installationskünstler Roland Schefferski (geboren 1956 in Kattowitz/Katowice) arrangierte seine Objekte so, dass im „Nicht-mehr-Vorhandenen“ Raum geschaffen wurde für Assoziationen und Erinnerungen. Foto: Justyna Krzyzanowska

Die verschwundene Altstadt von Küstrin ist inzwischen kein toter Ort mehr, sondern seit einigen Jahren kulturell höchst lebendig. In den Kasematten der noch erhaltenen Bastion Philipp zeigt eine attraktive Ausstellung des Museums Küstrin anhand von Schautafeln, Plänen, Modellen und originalen Fundstücken die Geschichte des Ortes von den Anfängen bis nach dem Zweiten Weltkrieg zweisprachig auf Polnisch und Deutsch. Die Ausstellung ist von Mitte April bis Mitte Oktober geöffnet. Genaue Öffnungszeiten erfährt man im Internet.

Mit Fördergeldern der EU wurde ein Rundweg auf dem Gelände angelegt. Ein Abschnitt trägt den Namen Kattewall – benannt nach dem Freund des Kronprinzen Friedrich, des späteren Friedrich des Großen, der 1730 in Küstrin hingerichtet wurde, weil er Friedrich zur Flucht vor seinem despotischen Vater verhelfen wollte.

2013 wurde der 2011 gefundene originale Sockel des Denkmals für den Hohenzollern-Markgrafen Johann von Brandenburg-Küstrin, genannt „Hans von Küstrin“, aus Anlass seines 500. Geburtstags restauriert und wieder aufgestellt. Das Standbild des Herrschers, der Küstrin zu seiner Residenz gemacht hatte, war 1903 in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. vor der Marienkirche eingeweiht worden.

Jeden Sommer seit 2000 finden die Küstriner Festungstage mit Ritterspielen, historischen Nachstellungen, Kunstinstallationen und einem vielfältigen, internationalen Programm an Freiluftkonzerten statt. 2017 wird es mehrere kleine Ausstellungen zum 500. Reformationsjubiläum geben. Inzwischen haben auch einige Berliner Bundestagsabgeordnete Küstrin in das Besuchsprogramm für Besuchergruppen aus ihrem Wahlkreis aufgenommen. Das Bundespresseamt hat Küstrin auf die Liste für Ziele politischer Informationsfahrten gesetzt.